Ein Mantel, ein Pulli, ein Rock – Nähflow im April MMM am 1.5.2024

Vor ein paar Jahren gab es einen Mantel-Sew-Along, an dem ich auch hoffnungsvoll teilgenommen habe. Na, ja, ich bin bis zum zuschneiden gekommen. Der Stoff, eine mehrfach umgefärbte leichte Tagesdecke mit einer Gardinen-Vergangenheit, war aber ein Fehlgriff. Er blieb trotz weiterer Färbeversuche fleckig. Dieses Mantelprojekt war das erste, bei dem ich nicht versucht habe, noch irgendetwas zu retten, sondern alles einfach entsorgt habe.
Dann entdeckte ich in Mannheim in einem kleinen Stoffgeschäft diesen wunderbaren, etwas groben Wollstoff. Die Besitzerin des Ladens hatte die Bestände einer Schneiderin aus den 1960er Jahren aufgekauft. Der perfekte Stoff für einen Frühlingsmantel. Und ebenfalls in diesem Laden gab es dann auch diesen unglaublichen Futterstoff mit dem Print aus Vintage-Reklame. Dass es sich dabei um Zigaretten-Reklame handelte, habe ich erst gemerkt, als der Stoff schon in meinem Einkaufsbeutel lag, die naive Nichtraucherin hat es erst für Waschmaschinen gehalten.


Allerdings gefiel mir der ursprünglich geplante verschlusslose Mantel nicht mehr.


Burda 10/2012#125 im Stil der 1950er Jahre passt sowohl zu dem Oberstoff als auch zum Futter. Von vorne sieht der geschlossene Mantel relativ schmal aus, aber hinten sorgt eine tiefe Kellerfalte für viel Weite und einen wunderschönen Schwung beim drehen. (Und auch für einen meterlangen Saum, den ich auf unserer Reise nach Karlsbad während der gesamten Fahrt von Hand gesäumt habe, puh.)

Die Ärmel sind am Saum leicht ausgestellt, der Kragen hat einen eingearbeiteten Steg.
In den Jahren, in denen der Mantelstoff im Schrank lag, hatte ich einen Motten-Angriff, und eine Fläche von 50*50 cm ist total zerlöchert worden. Ich habe den Stoff eingefroren und dann im Wollwaschprogramm gewaschen. Das hat er gut überlebt und mit viel Herumschieberei konnte ich bis auf den Kragen alle Teile zuschneiden. Für den Oberkragen gab es noch zwei Stücke, er hat jetzt eine Mittelnaht, und für den Unterkragen konnte ich einen passenden Samt finden. Eine schlechte Stoffwahl übrigens, durch die kleinen Härchen wandert der Unterkragen immer herauf, und der Kragen fällt trotz genau bemessener Mehrweite nicht so gut. Wenn es mich ausreichend stört, kann ich ihn aber noch einmal mit einem glatteren Stoff, zum Beispiel einem Satin belegen.
Ein Mottenloch konnte ich nicht umgehen, im vorderen Besatz verschwand es unter einer passenden Stickerei.


Passend zum Stil des Mantels habe ich mir Paspelknopflöcher spendiert und zwar nach dieser Anleitung, sie ist meiner Meinung nach die beste, die ich jemals gefunden habe. (links das fertige Knopfloch, in der Mitte die eingefasste Öffung im Besatz, rechts die Rückseite des Knopfloches).
Die Anleitung im Heft ist gewohnt sparsam, finde ich aber O.K., das ganze Heft kostet nicht einmal doppelt so viel, wie ein Fertigschnitt. Wer mehr Anleitung braucht, muss halt einen Einzelschnitt kaufen. Im „leichter Nähen“-Buch von Burda gibt es für die gesamte Mantelkonstruktion ausgezeichnete Bildanleitungen (behaupte ich einfach mal hier, ich habe davon nur drei von vier ursprünglichen Heftausgaben, da war alles drin).
Weil ich parallel zum Mantelnähen auch noch ein altes Sakko von meinem Mann ausgeschlachtet habe (ich wollte gerne nach Karlsbad auch einen Upcycling-Trägerrock aus ebendiesem Sakko mitnehmen), konnte ich einen Blick auf die professionelle Schulterverarbeitung werfen und hatte auch gleich zwei schöne Schulterpolster und Ärmelfische zur Verfügung.


Man sollte übrigens unbedingt mal ein gutes Sakko zerlegen, besonders, wenn man plant, den Partner zu benähen. Ich weiß jetzt, dass ich meinen Liebsten dann doch zum Herrenschneider schicken würde. Was da alles an Wattierung, Steifleinen und weiß-nicht-was drinsteckt! Sehr beeindruckend. Mein Ärmelfisch ist auch nicht die übliche kleine Sprotte geworden, von der man immer wieder Bilder sieht, sondern ein ausgewachsener Wels. Übrigens steht im Burda-Leichter-Nähen-Buch der Tipp, oben auf die Ärmelkugel etwas Einlage zu bügeln, schon allein das sorgt für einen schöneren Sitz.
Meinen Mantel werde ich übrigens auch trotz der Sakko-Wattierung waschen können, denn auch das Sakko war bereits einmal in der Waschmaschine, es hat ein Brandloch. Seit mir die Reinigung eine Jacke mit völlig abgeschabtem Velours mit der Bemerkung zurückgab, sie sei ja auch schon alt gewesen, dürfen meine Wintermäntel ein paar Stunden mit Wollwaschmittel in der Badewanne schwimmen und werden dann gut gespült und leicht angeschleudert auf einem stabilen Bügel getrocknet. Hat sich sehr bewährt.

Hier noch einmal ein Blick auf das Innenleben..

Die Fotos sind in Karlsbad im Grandhotel Pupp entstanden, und wer jetzt denkt: „Den Laden habe ich doch schon irgendwo einmal gesehen!“, der hat bestimmt den James-Bond-Film „Casino Royal“ gesehen, der wurde nämlich hier gedreht. Auf der Speisekarte erinnert ein Cocktail „Vesper 007“ daran.

Das Hotel hat kilometerlange Gänge, die sich perfekt für lange Foto-Walks eignen.


Mein April war ungeheuer produktiv, neben dem Mantel ist noch dieser Pulli im Missoni-Stil entstanden,

und für den Upcycling Constest bei Pattern Rewiev habe ich mir diesen Rock aus einem alten Sakko meines Mannes genäht. Eine Schnittbeschreibung des Pullis und die Story hinter dem neuen Trägerrock poste ich an einem anderen Tag.

Jetzt gebe ich ab an den Me Made Mittwoch, den virtuellen Laufsteg selber nähender Frauen.

7 Kommentare

  1. Er ist großartig geworden Deiner neuer Mantel! Und Du hast Dir auch die passende Kulisse für die Präsentation ausgesucht. Kurzum, buchstäblich großes Kino! Ich erinnere mich an Deine Färbeexperimente. So löblich es ist, alles retten zu wollen (manch einer bräuchte mehr von dieser Haltung, bspw. die erwähnte Reinigung); manchmal gibt es einfach nichts mehr zu retten…

    Ja, ich bin auch immer wieder beeindruckt, wie viel Einlagen, Polsterung u.a. in der klassischen Schneiderei verwendet werden. Ich finde, solche kleinen, feinen Details, wie bspw. auch die Rollweite beim Kragen, sorgen für einen besseren Sitz. Bilde ich mir wenigstens ein, vielleicht um die ganze Arbeit zu rechtfertigen.

    Wirklich ein sehr produktiver April. Freue mich schon auf Dein Upcycling Post!

    Herzliche Grüße Manuela (Twill & Heftstich)

    P. S. Der Konzertsaal ist aber nicht in Karlsbad, oder? Sieht aus wie der im Gewandhaus in Leipzig?

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    • Stimmt, das ist das Gewandhaus. Mahlers 5. unter Herrn Welser-Möst. Eins von den Konzerterlebnissen, von denen man noch seinen Enkeln vorschwärmt.
      Burda unterschlägt die Rollweite beim Kragen grundsätzlich in den Heften, macht mich jedes mal wahnsinnig. Ich hatte mal einen Mantel, bei dem sich ständig die Kragenecken nach oben gebogen haben, schlimm. Rollweite braucht man immer, sogar bei ganz popeligen Baumwollblüschen. In den Büchern steht das auch drin.
      Ich habe übrigens noch mehr genäht, ein Kleid ist noch fast fertig geworden, fehlen nur noch der Kragen und die Knopflöcher. 🙂

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  2. Dein Mantel sieht echt klasse aus und steht dir ausgezeichnet. Die Knopflöcher sorgen für noch mehr edlen Look. Die Fotokulisse hätte nicht besser sein können.

    Dass dein Futter Reklame für Zigaretten ist, wäre mir gar nicht aufgefallen.

    LG und viel Freude beim tragen, Heike

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  3. Da wir auch mal wieder mit wiederholtem Mottenbesuch kämpfen, leide ich mit dir. Zum Glück hast du dann aber doch alle Schnittteile einigermaßen herausbekommen. Und der Mantel entschädigt für jede Mühsal. Das Futter ist ziemlich cool. Dass es Zigarettenwerbung ist habe ich auch erst gesehen als du es erwähnt hast 😉 Und die Fotolocation ist bestens gewählt. Zuerst dachte ich ja an Oper oder Theater, aber ein Grandhotel hat natürlich auch was. Schmunzeln musste ich über das Sakko zerlegen 🙂 Und werde deinen Rat befolgen, indem ich mich über eines des Besten mache, das auch die Motten zum Anbeissen fanden.

    Auf den genaueren Bericht über den Trägerrock freue ich mich, der sieht interessant aus.

    Liebe Grüße. heike

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    • Motten sind echt eine Pest! Viel Spaß beim Sakko-Upcycling.

      Hier ist mein Pinterest-Board, wo ich Ideen dafür (und für massenhaft anderes) gesammelt habe.
      LG, Stefanie

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  4. Ich finde deinen Futterstoff trotzdem ansprechend, er gibt dem außen sehr klassischen Mantel innen eine kleine Auflockerung. Und wer hat schon lange genug Zeit dein Futter zu betrachten, um die Zigarettenmarke zu erkennen.

    Ja, das stimmt, klassische Herrenjackets sind nochmal eine andere Stufe von Innenverarbeitung, aber wie genial, dass daraus noch so viel weiterverwendet wurde!

    Bei der Reinigung hatte ich auch schon viele schlechte Erfahrungen. Bei dem letzten Mantel, den ich mir gekauft habe musste ich der Verkäuferin förmlich versprechen ihn nur zu einer bestimmten Reinigung zu geben. Ist wohl die einzige in ganz München, die noch ein Interesse an Langlebigkeit der Kleidung hat… Auch traurig.

    Grüße, Tina

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