Weihnachtsmarkt in Winkelhausen: 20. Dezember

20-12-13Als sie aufwachten, stürmte es immer noch, aber der Sturm schien weniger stark zu sein. Vielleicht hatten sie sich aber auch nur an das Geräusch gewöhnt.  Was für ein Heiligabend! Sonst hatten sie es kaum im Bett ausgehalten. Aber heute, ohne Mama und Papa? Einigermaßen lustlos gingen sie in die Küche, wo ihr Nachbar Kakao auf dem Campingkocher zubereitete.

„Na, ihr Schlafmützen, gerade wollte ich euch wecken. Wir haben einen Haufen Arbeit vor uns.“

„Und was?“ Tom konnte sich nicht helfen, er musste einfach unfreundlich sein.

„Erst einmal heizen. Der Sturm hat nachgelassen, also dürfte der Kamin jetzt richtig ziehen. Dann müssen wir eure Gefriertruhe und den Kühlschrank ausleeren und den Inhalt im Schnee beziehungsweise im Eingang lagern, damit nicht alles in der Wärme verdirbt, solange wir keinen Strom haben. Das Gleiche müssen wir dann auch bei mir tun.“

Nach dem Frühstück gingen sie gleich an die Arbeit. Sie packten eingefrorene Lebensmittel in große Plastikboxen und trugen sie vor das Haus. Der Inhalt des Kühlschranks wanderte in den Windfang vor der Haustür. Während des Essens hatte der Sturm aufgehört, und als Tom die letzte Kiste heraus trug, merkte er auf einmal, dass es auch aufgehört hatte, zu schneien. Der Himmel riss auf, und die Sonne kam heraus. Die ganze Welt begann zu glitzern. Aber wie sah alles aus? Der Schnee lag einen halben Meter hoch und in den Schneeverwehungen sogar noch viel höher. Man konnte die Straße nicht erkennen. Unförmige Haufen zeigten an, wo parkende Autos standen. Bei manchen Häusern waren die Haustüren völlig zugeweht.

Herr Schwesig nahm die Schneeschaufel, und räumte einen Pfad zu seinem Haus. Die Kinder tobten im Schnee herum. Als sie nebenan die Vorräte in die Kälte umgeräumt hatten, war es fast Zeit für das Mittagessen.

„Geht schon mal ins Haus, ich komme gleich nach.“

Als Herr Schwesig nach einer ganzen Weile kam, hatte er eine kleine Tanne unter dem Arm.

„War gar nicht so leicht, die unter all dem Schnee zu finden“, sagte er. „Ich dachte mir, an Weihnachten sollten wir wenigstens einen Baum haben. Schmückt ihr den nachher?“

Sie saßen gerade beim Essen, es gab Pfannkuchen mit Apfelmus, als es an der Tür klopfte.

Draußen stand auf ein Paar Langlaufskiern der Bürgermeister.

„Ich gehe gerade durch das Dorf, um zu sehen, ob alle gut untergebracht sind. Haben Sie es warm und genug zu Essen?“

Er verteilte die Leute im Dorf, die ohne Wärme und Strom waren in die Häuser mit Kaminen oder Notstromaggregaten. Außerdem suchte er Helfer, um die einen Kilometer lange Stichstraße, die das Dorf mit der Bundesstraße verband, zu räumen. Im Radio habe es geheißen, dass Bundeswehr und technisches Hilfswerk unterwegs seien, um die Hauptstraßen zu räumen, kleinere Nebenstraßen werde man wohl erst in einigen Tagen erreichen.

„Der ganze Landkreis ist eingeschneit. Wann es wieder Strom gibt, weiß keiner.“

Herr Schwesig sagte seine Hilfe zu. Die Kinder wollten unbedingt mitkommen, aber er erlaubte es nicht.

„Eure Schneeanzüge sind immer noch ganz nass. Außerdem möchte ich einen geschmückten Weihnachtsbaum haben, wenn ich zurückkomme!“

Also konnten sie wieder nur warten. Aber dieses Mal war es ein gutes Warten. Sie hatten keine Angst mehr sondern fühlten sich sicher. Draußen waren Menschen auf der Straße, die ihnen helfen würden, Menschen, die sich um einander kümmerten.

Sie schmückten den Tannenbaum und dann kam Lena auf die Idee, Herrn Schwesig eine Bildergeschichte über die letzten Tage zu malen, als Weihnachtsgeschenk.

Sie waren gerade fertig geworden und hatten das Geschenk verpackt und unter den Baum gelegt, als es klopfte.

„Nun seht mal, was ich euch mitgebracht habe!“, forderte Herr Schwesig sie auf.

„Papa! Unser Papa!“

„Die Bahn hat einen Schneepflug  ab Berlin eingesetzt und ich habe die Leute solange bequatscht, bis sie mich mitgenommen haben. Mama hatte mich angerufen, bevor der Strom ausfiel. Ich habe gesagt, meine armen Kinder wären ohne Eltern am Heiligabend  zu Hause. Damit haben sie sich erweichen lassen.  Ich war fest entschlossen, mich durch den Schnee zu euch durchzukämpfen, aber dann war die Straße bis zum Bahnhof geräumt.“

„Aber wir haben doch Herrn Schwesig,“ sagte Tom. „Wir sind doch gar nicht allein.“

Die beiden Männer gingen gleich wieder hinaus, um weiter Schnee zu schaufeln.

Langsam wurde es dunkel und als man draußen fast nichts mehr sehen konnte, kamen Papa und Herr Schwesig zurück.

„So ihr beiden“, sagte Papa, „Ihr geht jetzt mal mit euren Flöten nach oben und übt ein paar Weihnachtslieder, und wenn ihr damit fertig seid, wollen wir mal sehen, ob der Weihnachtsmann gekommen ist.“

Aufgeregt gingen die Kinder in Lenas Zimmer. Immer wieder setzten sie die Flöten ab, weil von unten interessante Geräusche herauf drangen: Türen klappen, Schritte, unterdrücktes Gelächter. Endlich bimmelte das Glöckchen.

Das Wohnzimmer war von Kerzen hell erleuchtet und am Weihnachtsbaum standen Herr Schwesig, Papa und…

„Mama!“ Beide Kinder warfen sich in Mamas ausgebreitete Arme.

Mama erzählte: „Als die Bundesstraße geräumt war, bin ich einfach losgefahren. Im Radio liefen Berichte über Leute aus den Dörfern, die selber die kleinen Landstraßen frei räumen, da musste ich einfach versuchen, durchzukommen.“

Dann wurden die Geschenke verteilt. Als Lena Herrn Schwesig sein Geschenk überreichte, sagte sie: „Das ist für dich, weil du viel netter bist, als ich dachte. Du bist nämlich gar kein Gebirgstroll.“

Tom hielt die Luft an. Jetzt würde es bestimmt ein Donnerwetter geben. Statt dessen fing Herr Schwesig an, schallend zu lachen. Aber dann wurde er ganz ernst.

„Weißt du, Lena, ich hatte mal eine Tochter und zwei Enkelkinder, einen Jungen und ein Mädchen. Kurz bevor ihr hier eingezogen seid, hatten die drei einen Autounfall und sind gestorben. Die Kinder waren so alt wie ihr beide. Ich war so traurig darüber, dass ich einfach keine Kinder ertragen konnte. Darum war ich so gemein zu euch. Wie ein Gebirgstroll halt. Es tut mir leid.“

„Bist du jetzt noch traurig?“

„Manchmal schon.“

„Du brauchst aber nicht mehr traurig zu sein. Jetzt hast du doch uns!“

„Genau, jetzt hast du doch uns“, bekräftigten Mama, Papa und Tom.

„Ja, jetzt habe ich euch.“

Und dann feierten sie  gemeinsam Weihnachten.

Sie sangen und spielten Spiele und aßen Suppe aus der Dose und alle fanden, dass sie noch nie ein so schönes Weihnachtsfest gefeiert hatten wie dieses Weihnachten im Schnee.

Im Kamin knackte ein Holzscheid. Die Schüler des Schreibkurses unterhielten sich leise. Der Weihnachtsmann beugte sich zu den Kindern, die schläfrig auf dem Sofa saßen.

„Unsere Reise ist noch nicht vorbei ihr beiden. Ihr wollt doch sicher noch wissen, wie das Computerspiel läuft und den Weihnachtsmarkt wollen wir uns auch noch ansehen.“

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