Stille Nacht am Arbeitsplatz

Nein, still ist diese heilige Nacht auf keinen Fall. Ich habe Bereitschaftsdienst in der Apotheke und gefühlt alle paar Minuten klingelt die Notdienstglocke. Das ist natürlich nicht wahr, die Patienten kommen strikt nach der Gauß’schen Mengenverteilung: Eine halbe Busladung, die dann Schlange stehen und mich hyperventilieren lassen, dann wieder eine viertel- bis halbe Stunde nichts. In diesen Pausen schneide ich das Weihnachtsgeschenk für meinen Mann zu, das ich irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr nähen werde, wenn die Kinder wieder abgereist sind und ich eine Ablenkung brauche.

Ich habe keinen Grund zu meckern, habe ich mir diesen Dienst doch selbst ans Bein gebunden. Als ich erfuhr, dass der Kollege mit dem kleinen Kind an Heiligabend Bereitschaft hat, habe ich sofort gesagt, dass ich die Tages-Schicht übernehmen werde. Väter müssen zur Bescherung zu Hause sein. Punkt. Er wird mich um 20 Uhr ablösen, dann ist das Kind im Bett und ich feiere mit meiner erwachsenen Familie.

Die Kunden sind süß, geduldig und dankbar, dass ich da bin. Zwei bringen mir sogar kleine Schokoladen-Weihnachtsmänner mit, ich bin gerührt. Sie kommen mit dem Üblichen: Rezepte für Antibiotika und Mittel gegen Pseudo-Krupp aus der Notdienstpraxis, Mitteln gegen Erkältung und Schmerzen, Läusemittel. Oh jeh, die Armen. Ich beruhige Schwangere am Telefon. Eine Frau kommt mit einem Rezept für ein Krebsmedikament für ihre Mutter. Das habe ich natürlich nicht da. Kann ich frühestens zum Samstag Mittag bestellen. „Wozu haben Sie denn überhaupt Notdienst?!“ darf ich mir von ihr anhören. Zu dem Zeitpunkt habe ich bereits 45 Kunden versorgt und bin ein bisschen geschafft. Mir platzt der Kragen. „Notdienst ist für Notfälle!“ erkläre ich ihr. „Sie sind KEIN Notfall. Ihre Mutter weiß, dass sie ihr Medikament täglich nimmt und sie weiß seit fünf Tagen, dass sie den letzten Streifen aus ihrer Packung genommen hat! Sie muss sich rechtzeitig kümmern.“
Irgendwie tut mir die Frau leid, sie ist nur die Überbringerin. „Das sage ich ihr auch immer“, räumt sie dann ein. Leider kann ich nichts für sie tun, die einzige Möglichkeit für die Mutter ist, über die Feiertage ins Krankenhaus zu gehen.

Mein nächster Kunde ist von der Leiter gefallen. „Wenn es an Weihnachten irgendwo oben klappert, sind das der Weihnachtsmann oder das Christkind. Da schaut man nicht nach!“ hat man ihm in der Notaufnahme erklärt. Recht haben sie. Er trägt es mit Humor und ist dankbar, dass er sein Schmerzmittel und ein paar gute Ratschläge bekommt.
Irgendwie bin ich doch froh, dass ich da bin. Aber ich bin auch froh, als ich abgelöst werde und nach Hause kann.
Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass es Menschen gibt, die Dir im Notfall helfen werden. Und es ist ein ebenso gutes Gefühl, ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein.

Mit diesem Bericht aus meinem Arbeitsalltag decke ich die Felder Am Arbeitsplatz und Stille Nacht von Antetannis Jahresbingo 2025 und dem Weihnachtsfreudenbingo ab

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