
Es gibt Leute, die können Abends ins Bett gehen, einschlafen und dann zu einem beliebigen Zeitpunkt, den sie sich vorher vorgenommen haben, wieder aufwachen. Das kann bei weitem nicht jeder, es ist eine besondere Begabung. Lasse war so jemand. Auch bei Wichteln ist das ein seltenes Talent, und Lasse wusste das. Er trainierte dieses pünktliche Aufwachen deshalb auch regelmäßig, um die Fähigkeit nicht zu verlieren.
Jetzt war es natürlich ungeheuer praktisch, zu einem bestimmten Zeitpunkt aufwachen zu können, denn im Gartenhäuschen gab es keinen Wecker. Lasse „stellte“ also seinen inneren Wecker und schlief dann tief und fest. Als er pünktlich kurz nach halb zwei Uhr nachts wieder aufwachte, fühlte er sich erfrischt. Leise, um Svea nicht zu stören, verließ er das Häuschen und machte sich auf den Weg zu Markus.
Markus wiederum hatte überhaupt nicht gut geschlafen. Nachdem ihm nach Mitternacht endlich die Augen zugefallen waren, schreckte er alle halbe Stunde hoch, aus Angst, den Wecker zu verpassen. Schließlich fiel er in wirre, beunruhigende Träume und war geradezu dankbar, als er um zwei Uhr daraus geweckt wurde. Kurze Zeit später hörte er auch schon Lasse leise an das Fenster klopfen.
Markus kam gleich zur Sache. „Ich weiß, dass ihr kein Essen mehr habt. Lenas und mein Taschengeld ist alle, also können wir euch nichts mehr geben, damit ihr etwas kaufen könnt. Wir müssen also irgendwie Geld verdienen. Und da hatte Lena eine Idee. In der Kleingartensiedlung, wo ihr wohnt, ist morgen – ach nee, heute – Nachmittag ein kleiner Weihnachtsflohmarkt. Die Leute verkaufe dort alles Mögliche, nicht nur altes Zeug, das sie nicht mehr haben wollen, sondern auch Dinge, die sie selber gemacht haben. Manche gießen Kerzen, andere verkaufen Gestecke und Kränze aus Material, das im Garten um diese Jahreszeit anfällt, eine Frau strickt das ganze Jahr über Socken und verkauft sie und so weiter. Verstehst du, was ich meine?“
„Ja, ich weiß bloß nicht so genau, worauf du hinaus willst.“
„Ganz einfach. Lena meint, dass ihr ja vielleicht irgendetwas basteln und verkaufen könntet.“
„Svea hat tatsächlich den ganzen Tag Weihnachtskarten gebastelt. Meinst Du, so etwas geht auch?“
„Ja, klar. Das war übrigens ganz super. Mein Papa hat die Bastelsachen im Gartenhäuschen gesehen. Irgendeine neugierige Mitbürgerin“- Markus’ Stimme klang spöttisch – „hat sich wohl Sorgen wegen der gefährlichen Jugendlichen gemacht, die das Grundstück unbefugt betreten, und die Polizei gerufen. Als Papa dann dort war, fiel ihm ein, dass das ja das Grundstück von Lenas Eltern ist und er hat eins und eins zusammengezählt. Unsere Eltern denken jetzt, dass wir uns dort getroffen haben, um ungestört zu basteln und haben den Hausarrest aufgehoben.“
„Das ist eine gute Nachricht. Kommt ihr dann mit zu diesem Weihnachtsmarkt?“
„Geht leider nicht. Mein Papa will mit mir Schlitten fahren gehen und Lenas Mutter hat auch etwas mit ihr vor. Ich hoffe, dass wir abends noch bei Euch vorbeikommen können.“
„Aber wie funktioniert das denn genau mit dem Weihnachtsmarkt?“
„Oh, Lena hat das alles organisiert. Sie hat euch wohl schon angemeldet und einen Tisch für euch klar gemacht. Ihr müsst nur zum Vereinsheim gehen, das ist in der Mitte der Siedlung, und sagen, dass ihr die Freunde von Lena Eiche seid. Pass auf, Lena wollte das alles für euch aufschreiben. Du sollst gleich noch einmal zu ihr kommen.“
„Ist sie denn noch wach? Und warum bin ich dann nicht gleich zu ihr gegangen?“ Lasse war ein bisschen irritiert. Das hier war doch unnötig kompliziert!
„Mein Schlafzimmer liegt nach hinten raus und ist von durch die Hecke vor Blicken geschützt. Lena wohnt in einer Mietwohnung im zweiten Stock, mit dem Fenster zur Straße. Das fanden wir zu riskant. Klettern an Fassaden, die zur Straße liegen, hat uns ja dieses ganze Elend erst eingebrockt. Ich rufe Lena gleich an, wenn du gehst, und dann hält sie nach dir Ausschau. Sie hat wohl auch noch ein paar Bastelsachen für euch und würde einen Beutel an einem Seil aus dem Fenster lassen.“
Lasse verabschiedete sich. Die Übergabe bei Lena klappte ohne Probleme. Der Beutel war ziemlich groß und recht schwer. Lena hatte neben einigem Bastelmaterial auch noch eine Packung Müsli und einen Liter Milch eingepackt, so dass die Wichtel etwas zum Frühstück hatten. Lasse war dankbar für Lenas Umsichtigkeit. Diese beiden Kinder waren echt klasse.
Zurück im Gartenhäuschen kroch Lasse vorsichtig, um Svea nicht zu wecken, zurück ins Bett. Er wollte noch ein paar Stunden schlafen. Lenas Plan, um Geld zu verdienen, war gut, und sie hatte anscheinend an alles gedacht. Nur der Befreiung des Weihnachtsmannes waren sie keinen Schritt näher gekommen.