Als der Weihnachtsmann verhaftet wurde: 18. Dezember

In dieser Nacht lag der Weihnachtsmann lange wach. Er hatte am späten Nachmittag aus dem Fenster gesehen und vier Kinder entdeckt. Sie hatten zu den Fenstern seiner Station hochgeschaut und er hatte einen Moment lang geglaubt, Lasse und Svea zu erkennen. Aber der Augenblick war nur kurz gewesen,dann hatten sich die Vier umgedreht, und das Mädchen, das er für Svea gehalten hatte, war auf Krücken davon gehumpelt.

Also war sie es wohl doch nicht gewesen und sein Geist spielte ihm einen Streich. Vielleicht, weil er es sich so sehr wünschte, dass sie kämen, um ihn zu retten. Oder, weil diese Station langsam auf ihn abfärbte. Waren Halluzinationen eigentlich ansteckend?
Da hörte er vom Fenster ein leises, schabendes Geräusch. Er lauschte angestrengt. Tatsächlich, da war etwas. Vorsichtig stieg er aus dem Bett und tappte hinüber. Dort, auf dem Sims hockte Lasse und grinste ihn an. Schnell öffnete der Weihnachtsmann das Fenster.
„Lasse, mein Junge, bin ich froh, dich zu sehen. Wart ihr das heute unten im Park? Und wart ihr mit Menschenkindern zusammen? Und warum hatte Svea Krücken?“
Lasse beantwortete flüsternd die Fragen, so schnell er konnte. Dann erklärte er dem Weihnachtsmann seinen Plan mit der verstopften Toilette. Sie vereinbarten, dass der Weihnachtsmann pünktlich um zehn Uhr eine Verstopfung produzieren sollte und Eisbart genau fünfzehn Minuten später als Monteur auf die Station kommen würde. Dann würde man improvisieren.
„Und wenn Eisbart irgendwelche Schwierigkeiten bekommt?“, fragte der Weihnachtmann.
„Lena sagte, dass er einfach unfreundlich werden soll. Wenn die Leute eine pampige Antwort bekommen, trauen sie sich meistens nicht mehr, weiter zu fragen, sagt sie. Sie muss es wissen, ihre Mutter ist hier Ärztin. Vielleicht kennst Du sie? Frau Dr. Eiche?“
„Ja, die behandelt mich. Sie ist sehr nett. Gut, ich weiß Bescheid und werde mich bereit halten.“
Aber am nächsten Morgen um zehn kam die Pflegerin zum Weihnachtsmann und wollte ihn zu einer Therapiestunde bei Frau Dr. Eiche abholen. Der Weihnachtsmann erschrak. Eine Therapiestunde würde den ganzen schönen Plan ruinieren, den sie gemacht hatten. Ihm musste etwas einfallen, und zwar ganz schnell.
„Äh, ich wollte gerade zur Toilette gehen“, sagte er.
„Dann beeilen Sie sich bitte. Ich sage Frau Dr. Eiche Bescheid und Sie kommen dann direkt in ihr Sprechzimmer, ja?“
Der Weihnachtsmann nickte erleichtert. Aber auf der Toilette gab es gleich das nächste Problem. Beide Kabinen waren besetzt. Was jetzt? Schnell zog er eine Socke aus und stopfte sie in das eine der beiden Waschbecken. Waschbecken, Toilette, das war doch alles das gleiche. Irgend jemand würde die Verstopfung beseitigen müssen, und dieser Jemand würde Eisbart sein. Er würde nur dafür sorgen müssen, dass er nach einer Viertelstunde wieder aus dem Sprechzimmer heraus kam.
Als er zu Lenas Mutter in das Zimmer trat, fiel im gleich auf, dass sie deutliche Ringe unter den Augen hatte. Diese Frau hatte offensichtlich Sorgen, und vermutlich hingen die mit ihrer Tochter zusammen. Lasse hatte ihm erzählt, dass Lena zu spät zum Ballett-Unterricht gekommen war und Ärger befürchtet hatte. Anscheinend war es genau dazu gekommen.
„Sie sehen müde aus“, sagte er zur Begrüßung. „Ist alles in Ordnung?“
Lenas Mutter seufzte. „Merkt man mir das so deutlich an? Ich habe Ärger mit meiner Tochter. Sie ist zehn, und anscheinend haben sie und ihr Freund uns Eltern einen Haufen Lügen erzählt und sich, anstatt sich zum Basteln zu treffen, in der Gegend herumgetrieben. Ich bin so wütend und fühle mich so betrogen. Und das Schlimmste ist, dass ich ihr nicht mehr vertrauen kann!“
„Hat sie denn so etwas schon einmal gemacht?“
„Nein, eigentlich ist Lena absolut zuverlässig und sehr vernünftig. Und ihr Freund Markus ist auch ein toller Junge. Ich kenne meine Tochter gar nicht wieder.“
„Vielleicht haben die beiden ja gute Gründe, Sie nicht in ihr Geheimnis einzuweihen. Möglicherweise ist alles ganz harmlos.“
„Und wenn nicht? Wenn sie in schlechte Gesellschaft geraten sind?“
„Sie sagen, die beiden sind vernünftige Kinder. Sie konnten sich bislang immer auf sie verlassen. Vielleicht sollten Sie ihnen einfach weiter vertrauen. Bedenken Sie, es ist Weihnachtszeit. Das ist die Zeit der Geheimnisse und Wunder. Haben Sie keine Angst, alles wird gut!“
„Vielleicht haben Sie recht.“
Dann schnaubte Lenas Mutter kurz. „Du meine Güte, wie machen Sie das nur? Ich bin hier eigentlich die Therapeutin, uns jetzt schütte ich Ihnen mein Herz aus! Ich glaube, wir sollten jetzt über Ihre Probleme reden.“
In dem Augenblick klopfte es an der Tür. Die Pflegerin erschien.
„Entschuldigen Sie, Frau Doktor, ich will Sie ja nicht mitten in der Therapie stören, aber es gibt da ein Problem.“
„Was ist denn los?“
„In der Herren-Toilette ist ein Waschbecken verstopft, und draußen ist auch schon ein Monteur, der es reparieren will. So ein ganz kleiner Mann mit einem richtig langen Bart. Er sagt, die Verwaltung hätte ihn geschickt, aber ich habe ihn noch nie gesehen. Als ich ihm das sagte, wurde er ganz giftig. Ob ich wohl noch nie einen Kleinwüchsigen gesehen hätte, und was mein Problem sei. Was mache ich denn nun mit ihm?“
„Schicken Sie ihn weg. Mir sind das hier ein paar zu viele Merkwürdigkeiten in letzter Zeit“, antwortete die Ärztin. „Um das Waschbecken kümmere ich mich selber.“
„Sie haben nicht zufällig mit der Angelegenheit zu tun?“, wandte sie sich dann an den Weihnachtsmann.
Der Weihnachtsmann hätte am liebsten er laut gestöhnt. Das war es wohl mit seiner Flucht. Statt dessen machte ein möglichst unschuldiges Gesicht. „Wie sollte ich wohl mit einem kleinwüchsigen Monteur zu tun haben? Ich bin hier eingesperrt, wissen Sie das nicht?“

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