Als der Weihnachtsmann verhaftet wurde: 13. Dezember

In der psychiatrischen Klinik gab die freundliche Pflegerin dem Weihnachtsmann seine Jacke und seine Stiefel zurück. Seine Hose mit den Hosenträgern durfte er nicht anziehen. Die Pflegerin tröstete ihn, als er danach fragte: „Sie wissen doch, dass wir hoffen, dass Sie wieder hierher zurück dürfen. Und dann müssten Sie sich schon wieder umziehen, das ist doch unpraktisch. Außerdem laufen Sie ja nicht lange draußen mit der Jogginghose herum.

Die Polizei darf immer direkt vor dem Gericht parken, die haben es gut!“
Der Weihnachtsmann lächelte. Er wusste die Freundlichkeit zu schätzen. Er wurde zu den verschlossenen Glastüren der Station geführt. Draußen warteten ein älterer Polizist und eine etwas gehetzt wirkende junge Frau. Sie stellte sich als seine Anwältin vor.
„Brauche ich denn eine Anwältin? Ich habe doch nichts gemacht“, fragte der Weihnachtsmann auf dem Weg zum Streifenwagen, der sie zum Gericht bringen sollte.
„Sie haben ein Recht darauf, dass jemand Ihre Interessen schützt“, antwortete die Anwältin. „Machen Sie sich um die Kosten keine Sorgen, die übernimmt erst einmal das Gericht.“
„Machen Sie das öfter?“
„Ich bin Pflichtverteidigerin. Normalerweise vertrete ich Kleinkriminelle und Drogensüchtige. Für den Weihnachtsmann habe ich noch nie gearbeitet.“
Der Polizist grinste. „Ich habe auch noch nie einen gefahren. Na, ja, einmal ist immer das erste Mal. Aber ein paar Kollegen von mir, die mussten im letzten Jahr zum Weihnachtsmarkt ausrücken. Ein paar Weihnachtsmänner von konkurrierenden Agenturen hatten am Ende ihrer Schicht erst ganz gemütlich einen Glühwein getrunken und dann aber einen Streit angefangen. Ich glaube, es ging darum, ob der Weihnachtsmann in Lappland oder am Nordpol wohnt. Am Ende wurde daraus eine saftige Keilerei und wir mussten mit sechs Kollegen dazwischen gehen, um sie zu trennen. Wir haben dann fünf Weihnachtsmänner verhaftet und in die Ausnüchterungszelle gesteckt. Am nächsten Morgen waren sie ein elendes Häufchen verkaterter Kerle, die schworen, nie wieder soviel Glühwein zu trinken und sich in Zukunft immer gut zu benehmen, wenn wir sie nur nach Hause gehen und vor allem diese Wichtel nicht mehr auf sie los ließen. Anscheinend waren sie so stark betrunken, dass sie in der Nacht kleine Männchen gesehen haben. Und zwar alle fünf! Ich hätte zu gerne gewusst, was in diesem Glühwein war, aber davon waren keine Reste übrig.“
Alle lachten, und auch der Weihnachtsmann schmunzelte. Er erinnerte sich noch gut daran. Ein paar eher stürmische junge Wichtel waren der Meinung gewesen, dass diese dummen Menschen eine kleine Lektion verdienten. Schlimm genug, dass in der Weihnachtszeit alle Kaufhäuser, Fußgängerzonen und Weihnachtsmärkte von falschen Weihnachtsmännern geradezu überflutet waren. Aber wenn sie sich auch noch betranken und prügelten, brachten sie den Weihnachtsmann in Verruf, fanden die Wichtel, und das ginge ja wohl gar nicht. Sie hatten die Trunkenbolde mächtig erschreckt und eine Menge Spaß gehabt.
„Und wo wohnt der Weihnachtsmann denn nun wirklich? Am Nordpol oder in Lappland?“, fragte die Anwältin.
Der Weihnachtsmann musterte die drei Erwachsenen im Streifenwagen, den Fahrer und die Anwältin vorne und den älteren Polizisten neben ihm. Ihm war klar, dass sie ihn nicht ernst nahmen. Er würde trotzdem antworten.
„Beides ist richtig. Bis vor 80 Jahren waren die Weihnachtswerkstätten tatsächlich in Lappland. Die Rentiere leben auch immer noch dort, in einer ganz abgelegenen, versteckten Gegend. Mit den Werkstätten sind wir aber an den Nordpol umgezogen.“
„Warum denn?“, meldete sich der Fahrer zum ersten Mal zu Wort.
„Ach, wir hatten ein Kobold-Problem“, sagte der Weihnachtsmann leichthin.
Das Gespräch kam zu einem Ende, weil sie das Gericht erreicht hatten.
Der Weihnachtsmann war ein bisschen nervös. Was würde ihn erwarten? Ein Richter mit Robe? Geschworene? Menschen, die ihn dumm anstarren und auslachen würden?
Tatsächlich war die ganze Angelegenheit ganz und gar nicht aufregend. Er wurde in ein kleines Büro mit Aktenschränken und einem großen Schreibtisch geführt. Der Mann, der sich als Richter Krüger vorstellte, bot allen einen Tee und Plätzchen an. Ein weiterer Mann vertrat die Staatsanwaltschaft, die Polizisten waren gar nicht dabei. Alle waren sehr freundlich.
Der Richter las aus einer Akte den Polizeibericht vor, in dem beschrieben wurde, wie der Weihnachtsmann an der Fassade kletternd gefunden worden war und warum man ihn festgenommen hatte.
„Stimmt das soweit?“
Der Weihnachtsmann bejahte. Wozu sollte er es auch abstreiten. Er hatte nur seine Arbeit getan.
„Wollen Sie mir erklären, warum Sie das gemacht haben? Sie sind doch nicht mehr jung, und so etwas ist ja schon im Sommer gefährlich. Im Winter, bei Schnee und Eis klettert man doch nicht an Häusern herum!“
Der Weihnachtsmann seufzte. „Ich bin der Weihnachtsmann, das habe ich Ihnen doch schon erklärt. Das ist der klassische Weg, um die Wunschzettel einzusammeln. Aber Sie haben natürlich recht, ich sollte das allmählich meinen Wichteln überlassen. Die liegen mir seit Jahren damit in den Ohren. In Zukunft werde ich das auch tun. Darf ich jetzt gehen?“
„Wer sind denn Ihre Wichtel? Können wir sie irgendwie erreichen? Haben Sie vielleicht ihre Telefonnummer im Kopf?“
„Also wirklich. Am Nordpol gibt es doch kein Telefon!“
Die beiden Anwälte und der Richter tauschten einen von diesen Blicken, die der Weihnachtsmann inzwischen schon kannte. Dann sagte die Anwältin: „Mein Kollege von der Staatsanwaltschaft und ich würden es befürworten, wenn der Weihnachtsmann in der Obhut der psychiatrischen Klinik bleiben würde, bis seine Identität festgestellt ist.“
Der Richter nickte. „Das sehe ich genauso. Sie können ihn wieder mitnehmen.“
Zum Weihnachtsmann sagte er: „Wir sehen uns bestimmt bald wieder. Ich hoffe, dass Sie sich bald daran erinnern, wie Sie richtig heißen und wo Sie wohnen. Erholen Sie sich gut.“
Am Streifenwagen verabschiedete sich die Anwältin. Sie hatte noch einen anderen Mandanten und keine Zeit, mitzukommen. „Ich besuche Sie aber in den nächsten Tagen und schaue, wie es Ihnen geht“, sagte sie.
„Alles gut. Eine Frage habe ich aber noch. Haben Sie eigentlich noch die Richterinnen-Barbie, die ich Ihnen gebracht habe, als Sie zwölf waren?“
Damit stieg der Weihnachtsmann in den Streifenwagen. Die Anwältin stand noch am Straßenrand und starrte ihm mit offenem Mund nach, als der Wagen schon längst um die nächste Ecke verschwunden war.

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